Conference paper

Bürger, Stefan:

Thietmars Chronik und der ottonische Dom von Merseburg als heilsgeschichtliche Anker in Zeiten politischer Bedrängnis

Das Bistum Merseburg ist fest mit den Ottonen und vor allem mit Kaiser Heinrich II. verbunden. Von der Bedeutung als bevorzugte Pfalz, von den herrschaftlichen Verhältnissen und politischen Aktivitäten des 11. Jahrhunderts in und um Merseburg, vor allem auch von der Neugründung des Bistums und dem Neubau der Kathedrale, berichtet Bischof Thietmar von Merseburg und nachfolgend auch die Merseburger Bischofschronik. So wie der kirchenpolitische Ort Merseburg unmittelbar von Heinrichs Engagement abhängig war, so stand die Amtsführung Thietmars im Dienste des Kaisers. Bistum und Reich standen in einem engen Verhältnis.
Durch die mittelalterlichen Jahrhunderte veränderten sich diese Verhältnisse gravierend. Die territorialpolitische Macht des Kaisers schwand in dem Maße, wie die Territorialfürsten an Einfluss hinzugewannen. Zum Ende des 15. Jahrhunderts spitzte sich die Lage erheblich zu: Die Wettiner hatten bereits im Bistum Meißen die Macht der Bischöfe beschnitten. Da sich das Bistum Merseburg und die Landesherrschaft der Wettiner überlagerten, war damit zu rechnen, dass auch in diesen Gebieten die Einflussmöglichkeiten des Bischofs auf dem Spiel standen. Als zudem mit Ernst II. ein Wettiner Erzbischof von Magdeburg wurde, entstand eine prekäre Situation: Es stand zu befürchten, dass das Bistum sowohl territorial- als auch kirchenpolitisch vereinnahmt würde.
Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass der damalige Bischof Thilo von Trotha sich auf die ehemalige politische Reichsunmittelbarkeit des Ortes besann und versuchte, das Bistum auf diesem Wege vor Zugriff zu schützen. Anhand des Ensembles des Merseburger Domes samt seiner reichen Ausstattung lässt sich zeigen, wie Bischof Thilo den Bau medial neu ausrichtete. Im ersten Schritt richtete er seine Grablege mit einer ikonographischen Umgebung ein, wie sie Heiligengräber aufweisen. Teil des Programms bildete eine episkopale Genealogie, deren Personal eine feste, kontinuierliche Linie von der ottonischen Gründung bis in die Gegenwart bildete. Im zweiten Schritt stiftete Thilo das Langhaus, revitalisierte damit den Stiftungsvorgang Kaiser Heinrich II. und stellte sich selbst als Neugründer in die Reihe der heiligen Kirchenpatrone. In einer dritten Maßnahme wurde das gesamte Langhaus umgestaltet, um es in die Anlage des neuen Bischofsschlosses zu integrieren. Die Kathedrale, deren wertvoller ottonischer Ostteil dabei als historischer Kern, Kaisergrablege und tradierter Heilsort über die Jahrhunderte unangetastet blieb, wirkte fortan nach außen wie eine Schlosskapelle, so wie das Bistum fortan als Teil einer „fürstbischöflichen“ Landesherrschaft wahrgenommen werden sollte.