Tagungsbeitrag

Stamm, Kerstin:

Denkmalpflege wider Willen? Die Rekonstruktion der Husemannstraße in Berlin 1987 im Rahmen von Stadtentwicklung in der DDR

Die Husemannstraße liegt im nordöstlichen Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Sie ist durchgehend bebaut mit fünf- bis sechsgeschossigen Mietshäusern aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und bildet dadurch einen Teil des so genannten Gründerzeitgürtels der Stadt. Die Gebäude gehören zum Denkmalbereich „Kollwitzplatz mit Mietshausbebauung“, seit 1990 stehen sie unter Denkmalschutz.
Die Gründerzeithäuser hatten im Zweiten Weltkrieg vergleichsweise geringe Kriegsschäden erlitten und waren sämtlich in überwiegend bauzeitlichem Bestand erhalten geblieben. Seit Kriegsende jedoch waren an den Häusern keine nennenswerten Erhaltungs- oder Erneuerungsmaßnahmen mehr durchgeführt worden. Erst Mitte der 1980-er Jahre und aus gegebenem politischen Anlass wurden solche beschlossen. Im Kontext der 750-Jahrfeier Berlins im Jahr 1987 sind ab 1984 die Mietshäuser und der Straßenbereich der Husemannstraße umfassenden Bauarbeiten unterzogen worden, zeitgenössisch als „Rekonstruktion“ bezeichnet.
Der Vortrag präsentiert anhand einiger konkreter Beispiele die im Rahmen der Rekonstruktion 1987 vorgenommenen Erhaltungs- und Erneuerungsarbeiten sowie den historisch-politischen Hintergrund ihrer Veranlassung. Die Rekonstruktion der Husemannstraße ist hier ein noch wenig untersuchter Sonderfall von „Ensembleschutz“, der sich in Motivation und Durchführung klar von den zeitlich und räumlich benachbarten Modernisierungs- (Arkonaplatz, Arnimplatz) oder Neubauprojekten (Nikolaiviertel) im Berliner Stadtgebiet unterscheidet. Obwohl die Arbeiten in der Husemannstraße vorrangig dem Wohnungsbau und der Stadtentwicklung dienten, weisen die im Detail dokumentierten Baumaßnahmen deutlich denkmalpflegerischen Charakter auf.
Am Beispiel der Husemannstraße diskutiert der Beitrag daher Grundsatzfragen der Denkmalpflege bezogen auf den städtebaulichen Kontext in der DDR, etwa das Verhältnis von Erhaltung und Neubau. Kritisch erörtert wird ebenso die politisch-ideologische Begründung der bestandspflegenden Maßnahmen in der Husemannstraße. Schließlich wird auch die Nutzung und Präsentation der durchgeführten Arbeiten zur Diskussion gestellt. Denkmalpflege wider Willen?

Kerstin Stamm, M.A., Kunsthistorikerin. Studium der Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft an der FU Berlin und der Universität Stockholm; Praktikum beim Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischen Museum. Volontariat bei ICCROM, Rom. Derzeit Doktorandin im trinationalen Graduiertenkolleg der Universitäten Bonn, Paris IV Sorbonne und Florenz mit einer Arbeit über Kulturerbe in Europa.
Forschungsschwerpunkte: Geschichte und Theorie der Denkmalpflege, europäisches Architekturerbe, Kulturpolitik.