Tagungsbeitrag

Schneider, Wolfgang Christian:

Zur Inschrift auf den Bernwardstüren

Die Bernwardstür des Hildesheimer Doms ist mit einer Inschrift in ihrem semantischen Zusammenhang näher bestimmt:
ANNO DOMINICE INCARNATIONIS MXV BERNWARDUS EPISCOPUS DIVE MEMORIE HAS VALVAS FUSILES IN FACIEM ANGELICI TEMPLI OB MONUMENTUM SUI FECIT SUSPENDI.
Für das Verständnis dieser Inschrift wird im Hinblick auf die Wendung „angelici templi“ meist auf den Erzengel Michael verwiesen und daraus geschlossen, dass die Türe ursprünglich für die Kirche des von Bernward gestifteten Michaelsklosters bestimmt war. In der Hildesheimer Lokalgeschichtsschreibung wurde dies dann entsprechend festgezurrt – bis in die jüngste Zeit. Diese Deutung bedingte, dass in der Wendung „angelici templi“ das Adjektiv „angelicus“, das im frühen Mittelalter überwiegend wenig spezifisch lediglich eine Beziehung zu Gegenstand oder Gegebenheit mit Engelsbezug kennzeichnet, sehr spezifisch aufgefasst und auf einen Engel bezogen wurde, auf Michael. Zugleich wurde das Wort „templum“ gänzlich uneigentlich aufgefasst, als allgemeine, unspezifische Bezeichnung für eine Kirche. Die Zuweisung der Türe an den Kirchenbau des Michaelsklosters begegnete allerdings der Schwierigkeit, dass dort kein rechter Ort für diese grosse Tür erkennbar war, selbst dann nicht, wenn man – wie vorgeschlagen – die beiden Türflügel auf verschiedene Orte an der Klosterkirche verteilte, was im Übrigen das Verständnis der Semantik der Türe erheblich beeinträchtigt hätte. Um die Türe doch noch für den Dom zu sichern wurde schliesslich das Wort „facies“ ebenfalls uneigentlich genommen, und als Hinweis auf einen Raum im Westbau des Domes über der Einganssituation bezogen, der (wie andernorts häufiger) Michael geweiht gewesen sei.
Bei all diesen Deutungen wird allerdings unausgesprochen von den Gegebenheiten, Vorstellungen und Selbstverständlichkeiten des beginnenden Hochmittelalters ausgegangen. In der Zeit Bernwards sind jedoch auch antik-lateinische sowie oströmische Kontexte noch bedeutsam und daher einzubeziehen. Denn im Kreis der griechisch-stämmigen Kaiserin und ihres halbgriechischen kaiserlichen Sohnes, mit dem Bernward eng verflochten war, bestanden – gestützt durch die engen Beziehungen nach Italien und insbesondere zu dem teilweise noch spätantik geprägten Rom – noch Wissensbezüge, die später versanken. Das verlangt, die In-schrift und zugehörige Befunde auch aus dieser Warte zu durchdenken und dabei vor allem dem semantischen Gehalt von „Basilica“ und „Templum“ sowie den übrigen Begriffen Rech-nung zu tragen. Das führt dann darauf, dass Bernward von Hildesheim die Türe tatsächlich von Anfang an für den Dom bestimmt hat, der ja nicht weniger als das gestiftete Michaels-kloster als „seine“ Kirche zu gelten hat.

Prof. Dr. Wolfgang Christian Schneider, Studium der Geschichte, Literaturwissenschaft sowie der Kunstgeschichte und Klassischen Archäologie in Stuttgart und Tübingen. Habilitation in Alter Geschichte, Apl. Professor Universität Darmstadt, Gastprofessor an der Universität Hildesheim, Wissenschaftlicher Direktor der „Kueser Akademie“ für Geistesgeschichte, Bernkastel-Kues.