Tagungsbeitrag

Schädler-Saub, Ursula:

Zur Wertschätzung historischer Fassadendekorationen in Florenz im 19. und 20. Jahrhundert: von der Rekonstruktion zu Restaurierung

Die Fassaden der Florentiner Palazzi waren im späten Mittelalter und in der Renaissance häufig mit prächtigen Sgraffitodekorationen und auch mit Malereien geschmückt, teils mit komplexen ikonographischen Programmen.

Mit den einschneidenden städtebaulichen Veränderungen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden viele Palazzi abgerissen, das malerische Erscheinungsbild der histori¬schen Altstadt erlitt schwere Verluste. Das wachsende Interesse der Architekten des Historismus an diesem Fassadenschmuck führte aber auch zu einem Revival der Sgraffitodekoration an Neubauten im Stil des Mittelalters und der Renaissance. Im Geiste einer nachschöpferischen Denkmalpflege erfolgten zudem viele „Restaurierungen“ historischer Fassadendekorationen, bei denen es sich de facto um Rekonstruktionen handelte, welche die historischen Techniken und Gestaltungsmerkmale mehr oder weniger getreu wieder aufnahmen. Die damit verbundene Zerstörung des Originals stieß ab den 1930er Jahren auf herbe Kritik.

Mit der Etablierung einer wissenschaftlich begründeten Arbeitsweise in der Restaurierung veränderte sich auch die Herangehensweise an historische Fassadendekorationen: Neben den weiterhin üblichen handwerklich geprägten Erneuerungen setzte sich allmählich auch eine sorgfältige Behandlung der Originalsubstanz durch, meist verbunden mit einer „archäologischen“ Präsentation der Fragmente. Allerdings war der Stellenwert historischer Fassadendekorationen im Kontext des überreichen Florentiner Kulturerbes eher peripher. Die Folge waren Vernachlässigung und Verluste. Dies zeigte sich vor allem nach der großen Flutkatastrophe von 1966, als die Aufmerksamkeit der Fachleute ganz auf die Rettung der vielen schwer beschädigten Bauwerke und ihrer Ausstattung ausgerichtet war, während die Fassadendekorationen ein Schattendasein führten.

Eine gewisse Wiederentdeckung der Florentiner Fassadenmalereien und Sgraffitodekorationen setzte in den 1980er Jahren ein, als erfolgreiche Restaurierungen (z. B. Fassadenmalerei von Palazzo Benci, Piazza Madonna degli Aldobrandini) die Qualität und Bedeutung dieser Dekorationen für das Verständnis von Architektur und Stadtbild erneut ins Bewusstsein rückten. Im Laufe der 1990er Jahre wurde die „archäologische“ Präsentation fragmentarischer Fassadengestaltungen durch Restaurierungen abgelöst, die sich an den Prinzipien Umberto Baldinis orientierten und die Wahrnehmbarkeit der Fragmente durch Ergänzungen verbesserten, die sich klar vom Original unterscheiden lassen (Beispiele: Fassadenmalerei von Palazzo Mellini-Fossi, via dei Benci; Sgraffitodekoration von Palazzo Neroni, via dei Ginori).

Im Gegensatz zur transalpinen Denkmalpflege, werden in Florenz grundsätzlich die originalen Fragmente präsentiert, sei es auf „archäologische“ Weise oder mit Retuschen und Ergänzungen. Das Aufbringen schützender Überputzungen, eventuell verbunden mit einer Rekonstruktion der Fassadendekoration auf dieser neuen Schicht, ist nicht üblich. Den Betrachtern sollen authentische Kunstwerke mit ihrer historischen und ästhetischen Qualität gezeigt werden. Die konservatorische Problematik, solche fragilen Oberflächen der freien Bewitterung auszusetzen, ist den Fachleuten dabei natürlich bewusst. Die kontinuierliche Pflege der historischen Fassadendekorationen ist aber meist nicht gewährleistet – und dies ist sicherlich nicht nur ein Florentiner Problem.