Tagungsbeitrag

Köpf, Reinhard:

'Stabilitas | Mobilitas' - Eine Frage der Dimension? Anmerkungen zur Mobilität frühmittelalterlicher Kirchenausstattungen

In den 1960er Jahren entdeckte man vor der Küste Siziliens ein Schiffswrack mit erstaunlicher
Ladung: Es enthielt zahlreiche, aus griechischem Marmor vorgefertigte Bauelemente,
die zu einer nahezu kompletten Ausstattung eines Kirchenraums des 6. Jahrhunderts
gehörten. Neben einem Altartisch fanden sich mehrere brüstungshohe Platten,
Säulen und kleine Kapitelle, die sich zu einer frühmittelalterlichen Schrankenanlage ergänzen
ließen. Für welche Kirche diese Stücke einst bestimmt waren, wissen wir nicht.
Bemerkenswert scheint jedoch, dass eine solche Anlage in ihrer Gesamtheit überhaupt
transportiert wurde und offenbar ihren Weg gen Westen finden sollte, wo ein unbekannter
Auftraggeber auf die wertvolle Fracht wartete.

Bereits diese kurze Einleitung verweist auf mehrere Aspekte innerhalb dieser Sektion:
Was meint Mobilität? Wie mobil ist mobil? In welchen Dimensionen denken wir, wenn
von Mobilität frühmittelalterlicher Artefakte die Rede ist? Liturgische Handschriften beispielsweise
sind in dieser Hinsicht wohl leichter vorstellbar als ganze Kircheneinrichtungen.
Trotzdem belehrt uns der genannte Fund eines Besseren: die Parzellierung des
mittelalterlichen Kirchenraums durch Schrankenanlagen ist für die Frühzeit des Mittelalters
ein charakateristisches Phänomen, kein notwendiges Übel. Im Gegenteil: Die gestalterischen
Qualitäten des erhaltenen Materials zeugen von der hohen Wertschätzung
dieser liturgisch erforderlichen Ausstattungselemente, genau wie der hohe Aufwand,
den man in diesem Fall für ihre Beschaffung in Kauf nahm.

Aus kunsthistorischer Sicht ist die Bearbeitung von Schrankenanlagen – vor allem frühmittelalterlicher
Beispiele – bisher nicht systematisch erfolgt. Dies betrifft ihre geographische
Verbreitung wie ihre formale Gestaltung. Vor dem Hintergrund der Frage nach
dem Transfer und Austausch in der Kunst des frühen Mittelalters möchte ich in meinem
Beitrag diese Thematik deshalb auf Schrankenanlagen beziehen. Welche Schrankenformen
kennen wir? Wie sind diese gestaltet? Welche Einflüsse im Hinblick auf Stil und
Motive können aufgrund ihres Erscheinungsbildes geltend gemacht werden? Woher
stammen diese Merkmale?

Im allgemeinen werden frühmittelalterliche Schrankenanlagen als erste Vorläufer von
Lettnern und Chorschranken bezeichnet. Dabei ist nicht nur interessant, welche liturgischen
Erfordernisse an die Anlagen gestellt wurden, sondern wie sie mit bildlichen Darstellungen
auf ihren sakralen Kontext reagierten. Lassen sie sich auch in Bezug auf ihre
ikonographische Themenwahl als Vorbilder heranziehen? Zwar fallen Aussagen für frühmittelalterliche
Anlagen erfahrungsgemäß schwerer, doch scheinen sich schon bis ins
frühe 12. Jahrhundert erste ikonographische Programme mit feststehenden Tendenzen
entwickelt zu haben. Als Ausblick und Resümee dieses Beitrags soll eine solche Entwicklungsgeschichte
nachgezeichnet werden. Gerade für die ersten bekannten Anlagen
zeichnet sich – ganz im Sinne eines kulturellen Transfers – eine Orientierung an östlichen,
das heisst byzantinischen Vorbildern ab.


Reinhard Köpf studierte Kunstgeschichte, Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, Denkmalpflege und Romanistik in Bamberg. Sein Promotionsthema war Mittelalterliche Skulpturenprogramme an Lettnern und Chorschranken. Eine ikonographische Untersuchung anhand ausgewählter Denkmäler von den Anfängen bis ins 13. Jahrhundert.
Er absolvierte ein Volontariat am Museum in Schnütgen und bekam Lehraufträge an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Aktuell ist er als Mitarbeiter im Sachverständigenbüro von Dr. Ivo Rauch in Koblenz tätig, für die Inventarisierung / Entwicklung von Restaurierungskonzepten für historische Glasmalereien.