Tagungsbeitrag

Olchawa, Joanna:

Hildesheimer Bronzewerke im frühen 13. Jahrhundert

Aquamanilien und figürliche Leuchter, Kreuzfüße sowie monumentale Ensembles – aus keinem anderen Produktionszentrum oder -gebiet ist um 1200–1250 solch eine Fülle an Bronzewerken erhalten geblieben wie aus Hildesheim. Trotz der heutigen Bewunderung ihrer nahezu einwandfreien technischen Ausführung sowie der meist intellektuell anspruchsvollen Ikonographie sind die Objekte in ihrer derzeitigen Gesamtheit kaum gebührend erforscht. Mithilfe einer polyphonen Beleuchtung der technik-, wirtschafts- und mentalitätsgeschichtlichen Kontexte (welche u.a. technische Erneuerungen, die durch den Fernhandel geförderte und an der Ostkolonisation orientierte Nachfrage, aber auch neue Tugend- und Lasterkonzepte in der Gestaltung der Artefakte offenbaren) soll im Vortrag aufgezeigt werden, dass die Bronzen auch in ihrer Entstehungszeit als Prestigewerke galten und Hildesheim als kulturelles Zentrum in Westmitteleuropa hochgeschätzt gewesen sein muss.
Zugleich lassen sich die historischen Umstände an den stilistischen Veränderungen der Hildesheimer Bronzen ab 1200 gegenüber den älteren Werken ablesen. Die nun weich modellierten Formen, welche durch ein Bemühen um naturalistische Wiedergabe von Physiognomien und Faltendrapierungen geprägt sind, können auf ein nach Westen und Norden gespanntes Beziehungsgeflecht verweisen. Sie sollten jedoch jenseits einer allgemeinen zeitlichen Bestimmung nicht mit dem aus der Architekturtheorie entlehnten Epochenbegriff der „Gotik“ umschrieben werden. Auch die an der niedersächsischen Bauskulptur und Buchmalerei um 1200 normierten Begriffe der „byzantinisierenden Spätromanik“ oder „mitteldeutschen Frühgotik“ eignen sich nicht dazu, die vielschichtigen Stiltendenzen sowie den durch die Verwendungszusammenhänge der Objekte beeinflussten Umgang mit Stileigenschaften wiederzugeben. Vielmehr sollten die Hildesheimer Werke innerhalb ihres zeitlich-geographischen Bezugsystems im Sinne einer „(Bronze-)Kunstlandschaft auf Zeit“ analysiert werden, so dass sie ihre Komplexität in Bezug auf Material, Form, Stil, Ikonographie und Funktion nicht entbehren müssen.