Tagungsbeitrag

Schneider, Almut:

Kunst und Magie. Herkunftsnarrative fiktiver Skulptur im höfischen Erzählen des 12. und 13. Jahrhunderts

Beginnt die Kunstgeschichtsschreibung wesentlich im 16. Jahrhundert, so kennt die deutschsprachige mittelalterliche Literatur bereits seit dem 12. Jahrhundert höchst kunstvolle Beschreibungen fiktiver Kunstwerke. Ekphrasis erscheint geradezu als Ausweis höfischer Erzählkunst. Mein Vortrag möchte sich der Beschreibung fiktiver Grabmale und ihren Herkunftsnarrativen zuwenden, um zu zeigen, in welcher Weise höfische Dichter mittels solcher Narrative einen Diskurszusammenhang von Kunst und Magie erörtern.
In der frühen Epik sind es Romane antiker Herkunft, wie der Eneas- oder der Trojaroman, in denen Grabmale detailliert beschrieben werden. Nicht allein die Kunstfertigkeit der Werke und die Kostbarkeit ihrer Materialien werden hervorgehoben, gemeinsam ist ihrem Skulpturenschmuck die täuschende Lebensechtheit der Figuren: Bewegung, Duft und sogar die Fähigkeit zur Sprache lassen die gegossenen oder aus Stein gehauenen Figuren als lebendige Abbilder erscheinen. Verbunden ist ihre Beschreibung mit einem Narrativ, das die Entstehung der Kunstwerke einem magischen Vermögen zuweist, so dass Kunst auf einen magisch-mythischen Ursprung zurückgeführt wird.
Zudem finden sich Kunstwerke in höfischer Epik strukturell an zentraler Stelle. Mit ihnen ist das Geschehen in ein plastisches Bild gefasst, sie sind Memorialzeichen und bilden Herrschaftsideen ab, können aber auch zur Veräußerlichung seelischer Innenräume werden und setzen die Handlung kommentierend oder provozierend neu in Gang. Gerade die Bewegung von Skulpturen, so möchte ich zeigen, bringt das Thema unsagbarer Minne ins Spiel. Das, wovon nicht erzählt werden darf, findet Ausdruck in einer bildhaften Gestaltung, mit der das Geschehen im Medienwechsel zugleich verhüllt und enthüllt ist. Der magische Bewegungsapparat der Skulpturen korrespondiert mit der Unbegreiflichkeit der Minne und verweist damit auf den Diskurszusammenhang von Minne, Kunst und Magie, wie er im 13. Jahrhundert im Rückgriff auf die Antike vielfach reflektiert wird. Damit erweisen sich Herkunftsnarrative bildender Kunst als Kristallisationskern des Erzählens und seiner poetologischen Reflexion.


Dr. Almut Schneider, Studium der Fächer Deutsche Philologie, Physik, Philosophie und Kunstgeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen; 1997-2001: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am SFB 529: Internationalität nationaler Literaturen in Göttingen; 2001: Promotion an der Universität Göttingen; 2002-2011: Wissenschaftliche Assistentin an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt; WiSe 2011/12 und SoSe 2012: Vertretung des Lehrstuhls für Ältere deutsche Literatur (Hochmittelalter) an der Humboldt-Universität zu Berlin; SoSe 2013: Vertretung einer Professur für Mediävistik an der Universität Göttingen; WS 2013/14: Vertretung einer Professur für Ältere deutsche Literatur an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.