Tagungsbeitrag
Alphei, Cord:
Zerstörung als Chance - Die Hildesheimer Michaeliskirche im Wiederaufbau 1945-1960
Schon kurz nach der Zerstörung von St. Michaelis am 22. März 1945 begann unter der Leitung des damaligen Gemeindepastors Kurt Degener der Wiederaufbau – allen Widrigkeiten der unmittelbaren Nachkriegszeit zum Trotz. Damals nutzten die Planer die Chance, den im Laufe der Jahrhunderte in wesentlichen Teilen umgestalteten, nun aber durch die Bomben weitgehend ruinierten Bau nicht in der überkommenen Form, sondern vielmehr im ottonisch-romanischen Stil zu rekonstruieren, also dem mutmaßlichen architektonischen Vorbild der von Bischof Bernward um 1010 konzipierten Anlage zu folgen und insbesondere die beiden 1650 und 1662 verloren gegangenen mächtigen Vierungstürme und den Ostchor wiederherzustellen.
Für das Gelingen des ehrgeizigen Projektes, das rund 15 Jahre in Anspruch nehmen sollte, waren drei Faktoren besonders wichtig:
1. Die Forschungsansätze der Baudenkmalpflege vor 1945 mit detaillierten Rekonstruktionszeichnungen.
2. Das enorme Engagement der Kirchengemeinde mit Spenden und freiwilligen Arbeitsleistungen.
3. Die Anschubfinanzierung durch den US-Industriellen Bernard Armour in Verbindung mit landeskirchlichen und staatlichen Zuschüssen.
Selbst wenn nicht in allen Punkten auf die mutmaßliche Gestalt des ursprünglichen Baues zurückgegriffen wurde, hatte sich doch mit der weitgehend originalgetreuen Rekonstruktion des Bernwardsbaues nach Jahrhunderten der Überformung ein Kreis geschlossen. An dieser Leistung müssen sich auch alle gegenwärtigen und zukünftigen Umbauten dieser weltberühmten Kirche messen lassen.
Dr. Cord Alphei, Studium der Evangelischen Theologie und Geschichte in Göttingen,
Promotion zum Thema „Geschichte Adelebsens und Lödingsens“; zahlreiche
Veröffentlichungen zur niedersächsischen Landesgeschichte, insbesondere zur Kirchengeschichte, Lokalgeschichte und zur Geschichte der Landstände in der frühen Neuzeit.
Literatur:
- Cord Alphei: Die Hildesheimer Michaeliskirche im Wiederaufbau, 1945-1960, Hildesheim 1985
- Manfred Overesch: St. Michaelis. Das Weltkulturerbe in Hildesheim. Eine christlich-jüdische Partnerschaft für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, Hildesheim 2002 (Rezension dazu von Gudrun Pischke im Hildesheimer Jahrbuch 81, 2009)
- Christoph Gerlach: St. Michael in Hildesheim - Kirche ohne Vorbild? In: Hildesheimer Jahrbuch 75, 2003, S. 9-58