Tagungsbeitrag

Zalewski, Paul:

Umgang mit deutschem Kulturgut in ländlichen Regionen Polens nach 1945 im Kontext von Gesellschaft und Politik

Nach der Verschiebung der polnischen Ost- und Westgrenze, die infolge der Potsdamer Konferenz 1945 erzwungen worden war, wurde die noch verbliebene deutsche Zivilbevölkerung weitgehend verdrängt. Die in ehemalige preußische Gebiete nachrückenden ostpolnischen Vertriebenen siedelten sich in den teilweise menschenleeren Orten nieder. Das Fehlen der geschichtlichen, sprachlichen Bezüge, ablehnende Haltung zum „Deutschtum“ sowie permanente politisch-territoriale Unsicherheit (etwa bis zum Warschauer Vertrag von 1970) trugen damals nicht gerade zum pietätvollen Umgang mit den historisch gewachsenen Lebensräumen bei. In den ersten zehn Jahren nach dem Krieg wurden diese Gebiete praktisch als eine temporär gegebene „Beutezone“ behandelt. Die polonisierende Meta-Erzählung (Betonung der piastischen Herrschaft im Mittelalter, serielle Umbenennung der Orte, Strassen, Plätze, etc.) sowie die Ansiedlung von Militärveteranen sollten die Ängste der entwurzelten Zwangsmigranten aus dem heutigen Litauen und aus der Ukraine entschärfen (… aber nicht gänzlich aufheben!). Für die Lage des verbliebenen Kulturgutes war jedoch nicht nur der Schwund des kulturellen Gedächtnisses von Bedeutung. Auch der wirtschaftliche Strukturwandel, die Verstaatlichung des Privateigentums in der gesamten Volksrepublik, bedeutete speziell auf den Westgebieten die Auslöschung des gesamten „Betriebssystems“. Es muss allerdings hervorgehoben werden, dass die Fachmilieus der Denkmalpflege zum frühestmöglichen Zeitpunkt, d.h. kurz nach dem Tod Stalins Handlungsbedarf laut artikulierten. Während der Tagung der polnischen Denkmalpflege in Stettin im Jahre 1956 wurde intensiv darüber beraten, wie man in der unstabilen Wirklichkeit der „Wiedergewonnenen Gebiete“ den Verfall der (sogenannten „postdeutschen“) Kulturgüter verhindern kann. Auch im weiteren Verlauf der Zeit haben die einzelnen Landeskonservatoren viel Kreativität geboten, um an temporären Nachnutzungen der ländlichen Residenzen zu arbeiten. Dennoch konnten die Fachgremien allein keine Wunder bewirken, so dass man im Verlauf der gesamten Nachkriegszeit von einer eher negativen Bilanz in den ländlichen Regionen Westpolens sprechen muss. So verblieben von den ursprünglich ca. 350 im Krieg unzerstörten Landgütern in der heutigen Wojewodschaft Lubuskie (früher Teil der Neumark) ca. 180 erhalten und zwar in sehr unterschiedlichen Zuständen.
Interessanterweise haben wir heute, in der dritten Generation der im westlichen Polen Nachgeborenen mit lebhaftem, und „von unten“ ausgehenden Interesse an deutscher Ortsgeschichte zu tun. Es handelt sich um eine Rekonstruktion der regionalen Identität, die in turbulenten Transformationszeiten als stabilisierender Anker wirkt und zwar auch wenn sie andere (deutsche) ethnische Wurzeln hat! Das Interesse der polnischen Mittelschicht an leer stehenden Residenzbauten und städtischen Infrastrukturen wird über Internet und über lokal agierende Initiativen vergemeinschaftet. Nicht Literatur oder Musik, sondern eben das materielle Kulturgut, die Architektur und manchmal auch nur Ruinen werden nun zu „Stolpersteinen“ der Kulturgeschichte, die das Interesse an der interkulturellen Kommunikation wecken. Jenseits der 500 km langen deutsch-polnischen Grenze bietet gerade die Denkmalpflege enorme Potentiale für die Völkerverständigung und für die Bildung der Zivilgesellschaft überhaupt. Aber… nimmt man das in Deutschland überhaupt wahr…?
Prof. Dr. Paul Zalewski, 1986-92 Studium der Kunstgeschichte und Denkmalpflege in Torun (PL), 1992-93 Aufbaustudium: Denkmalpflege in Bamberg, Heidelberg, 2000 Promotion am Fachbereich Architektur der TU-Berlin, 2000-2003 wiss. Assistent am Lehrstuhl für Baudenkmalpflege an der Universität Weimar, 2004-2008 Juniorprofessor für Bauforschung und Denkmalpflege an der Universität Hannover.
Seit 2008 Professor für Denkmalkunde an der Europa-Universität Viadrina und Leitung des Masterstudiums Masterstudiengang "Schutz Europäischer Kulturgüter" Strategies for European Cultural Heritage.