Tagungsbeitrag

Störtkuhl, Beate:

Geschichte und Grundlagen der Denkmalpflege in Polen nach 1945

Angesichts der schweren Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs standen die Denkmalpfleger in Polen nicht nur vor großen materiellen, sondern vor allem auch vor ideellen Herausforderungen. Während der Wiederaufbau der Warschauer Altstadt als Symbol nationalen Behauptungswillens weitgehend unumstritten war, verlief die Entscheidungsfindung für die Rekonstruktion der historischen Zentren von Danzig/Gdansk und Breslau/Wroclaw in den an Polen gefallenen ehemaligen deutschen Ostgebieten kontrovers. Die nationale Definition ihres Denkmalwerts führte schließlich zu einem selektiven Wiederaufbau, der – vergleichbar mit der Praxis in Europa nach dem Ersten Weltkrieg – bestimmte Zeitschichten überbetonte und andere ausblendete. Der rekonstruierende Wiederaufbau begründete den Ruhm der „polnischen Schule der Denkmalpflege“; die hervorragende theoretische und praktische Ausbildung ließ die polnischen Restauratoren zu „Exportschlagern“ u. a. in den beiden deutschen Staaten werden.
Diesen Erfolgen steht die Nachkriegsbilanz in kleineren Städten und Dörfern insbesondere in den sogenannten „Wiedergewonnenen Gebiete“ entgegen. Nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen wurden Wiederaufbaumaßnahmen hier verspätet eingeleitet, sehr häufig entstanden monotone Blocks, die sich kaum in die Stadtstruktur einpassen. Es ist bemerkenswert, dass sich gerade hier seit den 1980er Jahren ein neues Bewusstsein für die regionale Geschichte entwickelte. Dazu gehört die Sicherung und Pflege der einstmals fremden, nunmehr als „gemeinsames Kulturerbe“ (Andrzej Tomaszewski) begriffenen Kunstdenkmäler.
Der Vortag will einen Überblick über die Geschichte der Nachkriegsdenkmalpflege in Polen und ihrer Diskurse geben; dabei stellt sich auch die Frage nach bis heute wirksamen Traditionslinien der Rekonstruktionspraxis, die dem gegenwärtigen Nostalgiebedürfnis nicht nur der polnischen Gesellschaft entgegenkommt.


PD Dr. habil. Beate Störtkuhl, geboren 1963, Kunsthistorikerin. Studium der Kunstgeschichte, Provinzialrömischen Archäologie und Romanistik in München, Studienaufenthalte in Krakau/Kraków und Breslau/Wroclaw. 1991 Promotion, 2012 Habilitation.
Seit 1992 am Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (Oldenburg), in diesem Kontext Begutachtung denkmalpflegerischer Projektanträge in verschiedenen Ländern Ostmitteleuropas.
Privatdozentin an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
Seit 1994 Mitorganisatorin des Arbeitskreises deutscher und polnischer Kunsthistoriker und Denkmalpfleger.
Arbeitsschwerpunkte: Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts, neuere Kunstgeschichte Ostmitteleuropas, Geschichte der Kunstwissenschaft und Denkmalpflege.
Publikationen u. a.: Moderne Architektur in Schlesien 1900 bis 1939. Baukultur und Politik. (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 45) München 2013; (Hg.): Architekturgeschichte und kulturelles Erbe – Aspekte der Baudenkmalpflege in Ostmitteleuropa. (Oldenburger Beiträge zur Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas 8) Frankfurt/M. u. a. 2006; Robert Born, Adam S. Labuda, Beate Störtkuhl (Hg.): Visuelle Erinnerungskulturen und Geschichtskonstruktionen in Deutschland und Polen. Teil I: 1800–1939. (Das Gemeinsame Kulturerbe 3) Warszawa 2006.