Tagungsbeitrag
Kasparek, Nicole; Schneider, Jan:
Pilotprojekt DigiGlue: Ein Assistenzsystem zur digitalen Reposition von Wandmalereifragmenten als Begleiter der Restaurierung am Beispiel der provinzialrömischen Funde aus dem Europäischen Kulturpark Bliesbruck-Reinheim
Im saarländischen Bliesgau beheimatet liegt der deutsch-französische ''Europäische Kulturpark Bliesbruck-Reinheim''. Seit 1987 werden hier grenzüberschreitende archäologische Ausgrabungen durchgeführt. Auf deutscher Seite befinden sich die Überreste einer römischen Villa, die wohl vom 1. Jhd. bis zu einem Brand im 4. Jahrhundert n. Chr. existierte; auf französischer Seite liegt der dazugehörige Vicus, die Siedlung, die eine Belegung zwischen der Mitte des 1. Jahrhunderts n.Chr. bis zum Anfang des 5. Jahrhunderts aufweist.
Die gallorömische, sogenannte ''Axialhofvilla'' von Reinheim erstreckte sich über eine Fläche von 7 ha und besaß einen herrschaftlichen Wohnbereich mit Hauptgebäude und ein sich anschließendes längliches Hofareal mit zahlreichen Wirtschaftsgebäuden. Der Bereich des Hofareals wird bis heute weiter ausgegraben. Bereits im Jahr 2015 fand sich hier römischer Bauschutt mit einer mächtigen Schicht von Wandmalereifragmenten, vermutlich Reste einer Umbauphase der Villa. Aufgrund ihres Dekors kann die Wandfassung in die zweite Hälfte des 1. Jhd. bis in das 2. Jhd. datiert werden; die qualitativ hochwertige Wandmalerei umfasst bis heute ca. 12.000 Fragmente und ist noch nicht vollständig geborgen.
Im Dezember 2019 wurde ein Kooperations- und Forschungsprojekt des Landesdenkmalamtes des Saarlandes mit der MFB MusterFabrik Berlin GmbH und dem Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK zur Wiederherstellung der Wandmalereifragmente initiiert. Ziel der gemeinsamen, unter dem Namen ''DigiGlue“ durchgeführten Projektarbeit war die Entwicklung eines Assistenzsystems zur Digitalisierung, Visualisierung und digitalen Reposition von Wandmalereifragmenten, mit Hilfe dessen das hoch empfindliche Kulturgut materialschonend für die Nachwelt digitalisiert und später berührungsfrei wissenschaftlich und restauratorisch weiterbearbeitet werden kann.
Entwickelt wurde dazu ein automatisierter Scanner, der gleichzeitig die bemalte Vorderseite und die putzbehaftete Rückseite der fragilen Wandmalereifragmente erfasst und dabei parallel eine Höhenkarte erstellt. Der Scanner arbeitet im 2,5-D-Bereich, was Speicherkapazität spart und beim Puzzeln der Fragmente am Bildschirm hilft, da sowohl die Konturen der Bemalung als auch die der Mörtelrückseite angezeigt werden. In einer Datenbank sind die Digitalaufnahmen der Fragmente sowie weitere Metainformationen zu jedem Fragment hinterlegt. An einem Puzzle-PC des Assistenzsystems können die gescannten Fragmente dann nach diversen Kriterien sortiert, gedreht und aneinandergefügt werden.
Die Funktionsweise von ''DigiGlue'' soll im Rahmen der Tagung dem Fachpublikum vorgestellt werden.
Dipl. Rest. (FH) Nicole Kasparek studierte Restaurierung für archäologisches Kulturgut an der HTW Berlin. Nach ihrem Abschluss 1998 begann sie als Restauratorin am Rheinischen Landesmuseum Trier zu arbeiten, bis sie 2009 die Leitung der Restaurierungswerkstatt des Landesdenkmalamtes des Saarlandes übernahm.
Dipl.-Ing. Jan Schneider studierte Elektrotechnik an der TU Berlin mit den Schwerpunkten Regelungstechnik sowie Hard- und Softwaretechnik. Dann war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK tätig und leitete dort u. a. Projekte zur biometrischen Authentifikation. Er war u.a. verantwortlicher Projektleiter für das Themengebiet der automatisierten virtuellen Rekonstruktion und hat in dieser Funktion das technische Gesamtkonzept eines neuartigen Rekonstruktionssystems entworfen und dessen Kernkomponenten mitentwickelt. Im Jahr 2013 wurde die Software mit dem europäischen EARTO-Innovationspreis (European Association of Research and Technology Organisations) ausgezeichnet. Seit 2020 ist Jan Schneider Entwicklungsleiter in der MFB MusterFabrik Berlin GmbH. In der MFB werden automatisierte Scansysteme entwickelt, die eine bestandsschonende und mengentaugliche Digitalisierung von fragilen und historisch wertvollen Kulturgütern ermöglichen. Zudem entwickelt und implementiert die MFB automatisierte Assistenzsysteme, die der Visualisierung, Analyse und Annotierung sowie der Rekonstruktion und Reposition digitalisierter Objekte dienen. Diesen IT-Systemen liegen komplexe Methoden der digitalen Bildverarbeitung und Mustererkennung zugrunde, mit deren Hilfe bis dato verloren geglaubtes Kultur- und Schriftgut wieder nutz- und lesbar gemacht werden kann.