Tagungsbeitrag

Markgraf, Monika:

Bauhaus Dessau - Rekonstruktion der Moderne?

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Bauhausgebäude, Ansicht aus Südwesten, 2005; (c) M. Brück, Stiftung Bauhaus Dessau
Bauhausgebäude, Ansicht aus Südwesten, 2005; (c) M. Brück, Stiftung Bauhaus Dessau
Die Bauten der Moderne mit ihrer auch heute noch modernen Ausstrahlung werden im Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit erst seit kurzer Zeit auch als historische und künstlerische Zeugnisse erkannt, die es zu erforschen und zu schützen gilt. Die bisherigen Forschungen zur Architektur der klassischen Moderne beziehen sich meist auf die kunsthistorische Bedeutung der Bauten, während bei den konkret auf das bauliche Objekt bezogenen Aspekten noch immer erheblicher Forschungsbedarf besteht. In der hier notwendigen Bauforschung muss das Gebäude in seinen historischen, konstruktiven und materialtechnischen Aspekten untersucht und dokumentiert werden.

Das Bauhausgebäude in Dessau, 1926 von Walter Gropius als „gebautes Manifest der Bauhaus-Ideen“ geplant, zählt heute zu den bedeutendsten Bauten der Moderne und wurde 1996 in die Liste des Weltkulturerbes bei der UNESCO aufgenommen. Das Gebäude wird heute für Forschung und Lehre genutzt und ist für Besucher aus aller Welt geöffnet.

Auch für das Bauhausgebäude lagen am Anfang der 1996 begonnenen Sanierung äußerst geringe Kenntnisse zur Materialität des Gebäudes vor. Zu Beginn der Arbeiten wurden deshalb umfangreiche Recherchen, Gutachten und Analysen durchgeführt, um den Bestand zu erfassen und die Sanierungsziele festzulegen. In einem Gesamtkonzept für die Sanierung wurden die Ergebnisse der Analysen und Untersuchungen ausgewertet und in kurzer, übersichtlicher und prägnanter Form zusammenfassend dargestellt. Nachdem die Sanierungsziele festgelegt und mit allen Verantwortlichen abgestimmt waren, diente dieses Gesamtkonzept als Richtlinie für alle Entscheidungen im Sanierungsprozess.

Ziel bei der Sanierung des Bauhausgebäudes ist nicht die vollständige Rückführung des Gebäudes auf den bauzeitlichen Zustand. Durch die Festlegung von Schwerpunkten mit den Prioritäten auf der Restaurierung und Rekonstruktion des Zustands von 1926, der Instandhaltung des Zustandes von 1976 und der Möglichkeit zu Neufassungen wurde ein sehr differenzierter Umgang mit dem Gebäude möglich. In allen Bereichen hat die Erhaltung und Sicherung von bauzeitlicher Substanz sehr hohe Priorität, weil damit über die architektonisch-ästhetische Bedeutung hinaus Zeugnisse der Bautechnik und Baukonstruktion vorliegen, die es zu schützen und zu erhalten gilt.

Vorhangfassade und Fenster

Die berühmte Vorhangfassade wurde im 2. Weltkrieg weitgehend zerstört, ein kleiner Teil blieb am Gebäude erhalten und diente 1976 als Vorlage für eine Rekonstruktion in schwarz eloxiertem Aluminium. Leider ging das bis 1976 erhaltene, bauzeitliche Stück der Fassade verloren. Die bauzeitlichen Fensterbänder und Einzelfenster an Nordflügel, Brücke und Atelierhaus wurden 1976 entfernt und durch Nachbauten in vereinfachter Form ersetzt.

Etliche Fenster von 1926 haben sich, hauptsächlich in der Festebene, den Sockelgeschossen und in Nebenräumen, erhalten. Auf diese Vielfalt des Bestandes wurde differenziert reagiert: Bauzeitliche Fenster werden restauriert, also grundlegend repariert, ergänzt und gestrichen. Fenster und Vorhangfassade, soweit sie bei der Rekonstruktion 1976 nachgebaut worden sind, werden erhalten und repariert. Einige Fenster sind gar nicht mehr vorhanden oder in einem so schlechten technischen Zustand, dass sie ausgebaut werden müssen. Sie werden anhand der erhaltenen bauzeitlichen Fenster detailgetreu nachgebaut. Am Gebäude stehen also Fenster aus den Jahren 1926, 1976 und 2000 direkt nebeneinander.

Die restauratorischen Befunduntersuchungen haben als ursprünglichen Farbton für den Außenanstrich der Fenster ein dunkles Grau ergeben: damit erhält die Fassade ihre leichte und elegante Ästhetik zurück. Der Innenanstrich hatte ursprünglich einen sehr hellen, fast weißen Farbton. Auch diese Farbigkeit wird wieder hergestellt und verleiht den Räumen eine sehr viel größere Helligkeit und Luftigkeit. Alle Fenster erhalten einen Anstrich im historischen Farbton, um das einheitliche Erscheinungsbild der originalen Fassade möglichst wenig zu stören.


Fußböden

Die Farbigkeit des Gebäudes wird nicht nur durch die farbig gestrichenen Flächen gestaltet. Viele Flächen prägen den Raum durch ihre Materialfarbigkeit: Wandbespannungen und Vorhänge, Fußböden, Fensterbänke, metallische Oberflächen von Türbeschlägen oder Leuchtenfassungen. Untersuchungen zu Fußböden, die die Gesamtwirkung eines Raumes ganz wesentlich mit bestimmen, sind bisher völlig vernachlässigt worden. Im Bauhausgebäude prägen Farbigkeit und Oberflächenstruktur der Fußböden aus Terrazzo, Steinholzestrich und Triolin mit ihrer Materialität und mit ihren harten und glänzenden Oberflächen den Gesamteindruck der Räume ganz entscheidend mit. Deshalb wurden für diese Materialien Untersuchungen zu historischen Materialeigenschaften und deren Alterungsverhalten, zu Pflege- und Sanierungskonzepten systematisch durchgeführt und ausgewertet.

Ein interessantes Ergebnis war, dass Walter Gropius im Bauhausgebäude und in den Meisterhäusern nicht, wie bisher angenommen, mit Linoleum gestaltet hat, sondern den frühen Kunststoffbelag „Triolin“ verwendet hat. Triolin besteht aus Nitrocellulose mit Füllstoffen und Gelatinierungsmitteln auf einem Gewebe von Hanffasern und wurde in verschiedenen Farben hergestellt. Es wurde in den 1920er Jahren auf der Suche nach einem preiswerten und einheimischen Ersatzstoff für Leinöl entwickelt und ist von der Optik her kaum von Linoleum zu unterscheiden. Probleme wie die Feuergefährlichkeit des Materials, aber auch die Entwicklung von anderen Materialien führte dazu, dass die Produktion bald wieder eingestellt wurde. Die Ausstattung einiger Bauhausbauten mit diesem frühen Kunststoffmaterial ist ein Beleg für die Experimentierfreudigkeit des Bauhauses mit neu entwickelten Materialien, aber mit ihren monochromen Flächen auch ein Dokument zum differenzierten Farbkonzept der Bauten.

Die Auseinandersetzung mit den Materialien führt auch zu vertiefter Kenntnis der Bauten. Zum Beispiel konnte auch anhand der Bodenbeläge eine Hierarchie der Räume im Bauhausgebäude belegt werden: wurden die Büroräume mit Triolin auf Zementstrich ausgelegt, erhielten Unterrichtsräume, Werkstätten und Flure einen Belag aus

Steinholzestrich, einem fugenlosen Bodenbelag mit harter und glänzender Oberfläche. Am Bauhaus Dessau wurde mit dem Aufbau eines Bauforschungsarchivs begonnen, in dem Materialien und Bauteile, Unterlagen und Dokumente von Bauhausbauten und Bauten der Moderne erfasst werden. Damit stehen Grundlagen sowohl für die weitere Forschung als auch für die Bearbeitung von konkreten baulichen Problemen zur Verfügung. Ziel ist neben der Gewinnung von konkreten Erkenntnissen für die Sanierung von Bauten der klassischen Moderne auch die Erarbeitung von Grundlagen zur Einordnung und Bewertung dieser Bauten die Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts.

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