Conference paper
Krohm, Hartmut:
Die jüngere Grabplatte mit der Liegefigur Bischof Bernwards im Westchor
Die in Stein ausgeführte Liegefigur des hl. Bernward über einer Platte, die vermutlich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ausgeführt und über den Sarkophag des Klostergründers in der Krypta der St. Michaeliskirche in Hildesheim gelegt worden war, hat innerhalb der Forschung erstaunlicherweise nur wenig Beachtung gefunden. Eine umfassendere Bearbeitung des Bildwerks scheint dringend geboten: Zum einen ist mit ihm ein Hauptzeugnis norddeutscher Bildhauerkunst dieser Epoche überliefert, zum anderen verdient es vor allem Beachtung hinsichtlich der späteren Entwicklung des Memorialkultes um Bernward. Die jüngere Grabplatte, vermutlich aus der Amtszeit des Abtes Heinrich Westerhausen (1298-1354), als jüngere bezeichnet im Gegensatz zu der ebenfalls überlieferten romanischen, weist in vielen Einzelheiten auf noch ungeklärte Veränderungen an der Kultstätte Bischof Bernwards im Laufe der erste Jahrhunderte nach Errichtung der Grabanlage hin, auf die insgesamt mit einer kritischen Prüfung bisheriger Resultate zurückzukommen sein wird.
Die Figur des hl. Bernward selbst fügt sich in die Reihe von Beispielen skulpturaler Verbildlichung lokaler Wohltäter und Schutzheiliger seit dem frühen 13. Jahrhundert ein – von Stiftern aus oft weit zurückliegender Zeit als auch von Heiligen, deren Reliquien für den jeweiligen Aufbewahrungsort hohe Bedeutung besaßen und die in ihrer Rolle als Kirchen-, Kloster-, Bistums- oder Stadtpatrone hervorgehoben werden sollten. Als Besonderheit ist anzumerken, dass sich in der Hildesheimer Bernwardsfigur beide Vergegenwärtigungsziele miteinander verbinden. In der Linken weist der Heilige das Modell der von ihm erbauten Michaeliskirche vor, während unter dem Bergkristall auf seiner Brust eine Reliquie sichtbar ist. Zu Beginn der Entwicklung des Stiftergrabmals trifft man auf ein solch bedeutendes Zeugnis wie das posthum errichtete Grabmal Heinrichs des Löwen und seiner Ehefrau Mathilde in der ehemaligen Stiftskirche St. Blasius in Braunschweig.
Innerhalb des Vortrags wird die Hildesheimer Grabfigur indessen vor allem im Zusammenhang mit jüngeren niedersächsischen Memorialdenkmälern seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts behandelt. Dazu zählen die Holz- und Steinfiguren Herzog Liudolfs in der ehemaligen Stiftskirche von Gandersheim, der Gräfin Agnes von Meißen in der ehemaligen Zisterzienserinnen-Klosterkirche von Wienhausen und Herzog Ottos des Milden und seiner Ehefrau Agnes von Brandenburg in der ehemaligen Stiftskirche St. Blasius in Braunschweig. Des weiteren soll gezeigt werden, wie sich die Verbildlichung von Heiligen im Zuge der Reliquienverehrung hauptsächlich im Rahmen der Goldschmiedekunst vollzog; jedoch wie im Falle anderer Patrone gibt es ebenfalls zu Bernward wie auch zu seinem heiliggesprochenen Nachfolger Godehard Standbilder, freilich ohne Hinzufügung von Reliquien, aus dem späten Mittelalter. Zu thematisieren ist ferner die Wiedergabe Bernwards als jugendliche Gestalt. Schließlich erfolgt der noch ausstehende, bislang nicht überzeugend gelungene Versuch einer genaueren stilkritischen Einordnung im Vergleich mit anderen Werken norddeutscher Bildhauerkunst des 14. Jahrhunderts, verbunden mit der Präzisierung des Entstehungsdatums.
Prof. Dr. Hartmut Krohm, ehemals stellvertretender Direktor der Skulpturenabteilung und des Museums für Byzantinische Kunst in Berlin, Honorarprofessor an der Technischen Universität Berlin
Forschungsschwerpunkt: Kunstgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit