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Rüegg, Arthur:

Die sensible Haut der Bauten: Drei Schweizer Fallstudien

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Leben mit der Imperfektion des Originals

Villa Mooser, Zürich, Architekten Emil Staehli, 1912/Silvio Schmed, 2004-05.

Seit den ersten Erneuerungen von Bauten der klassischen Moderne (um 1980) hat sich eine Restaurierungspraxis auf hohem Niveau entwickelt und etabliert – allerdings auch bezüglich der immer wieder einzugehenden Kompromisse (z.B. bei der energetischen und installationstechnischen Aufrüstung der Bausubstanz). Genau in diesem Graubereich lohnt sich die Erforschung alternativer, radikalerer Ansätze.

Die folgenden drei Beispiele beziehen sich auf die Materialität der Oberflächen. Es handelt sich um Versuchsanlagen, bei denen jeweils andere Fragestellungen systematisch untersucht worden sind. Die behandelten Bauten stammen aus der Vor- und aus der Spätmoderne; die Aussagen lassen sich aber durchaus verallgemeinern.

Die vollständig ausgestattete Villa wurde 1990 von der Stadt Zürich gekauft, um einen damals zur Realisierung vorgesehenen Seeuferweg zu ermöglichen. Die sich nach Jahren einer temporären Nutzung aufdrängende Renovation erfolgte im Hinblick auf eine Vermietung zu ortsüblichen Bedingungen, ausserdem wegen des schlechten Zustandes des im See erbauten Boots- und Badehauses. Entgegen der üblichen Praxis galt dabei die Arbeitshypothese, wenn immer möglich sämtliche Oberflächen in ihrer Substanz integral zu erhalten. So wurden Parkettböden und Simse nicht abgeschliffen, sondern nur gereinigt. Auch die Tapeten wurden wenn nötig freigelegt und – ebenso wie die Gipsdecken – bloss gereinigt und dabei die Schadstellen akzeptiert, die Elektroanlagen folglich in den alten Rohren erneuert. Das grosse Spektrum an Linolböden der Firma DLW (u.a. von Peter Behrens gestaltet) konnte zum Teil in situ restauriert werden; zum Teil war allerdings eine Demontage und eine neue Unterkonstruktion erforderlich. Die kunstvollen Vorhänge wurden restauriert und eingelagert, die Polsterungen der eingebauten Bänke aber mit den Originalbezügen wieder eingebaut. Selbst noch vorhandene Beleuchtungskörper aus der Bauzeit hängen wieder in den Räumen, die heute vom Direktor des Schauspielhauses Zürich auf achtsame, aber betont zeitgemässe Art bewohnt werden.


Kompensieren statt zerstören

Kino Studio 4, Zürich, Architekten Roman Clemens, 1948-49/Silvio Schmed und Arthur Rüegg, 2002-03

Mit Foyer und Saal des <Studio 4> schuf der Bauhausschüler und damalige Ausstatter des Opernhauses Zürich Roman Clemens eines der bedeutendsten Kinos der Jahrhundertmitte. Die Sanierung dieses magischen Ortes erfolgte auf Grund einer für den Betrieb des städtischen Filmpodiums notwendig gewordenen technischen Aufrüstung, die allerdings praktisch unsichtbar bleiben sollte. Ausserdem war dem aktuellen Bedürfnis nach einer Bar und einer Lounge Rechnung zu tragen. In diesem Fall konzentrierte sich der gewaltige Planungsaufwand auf die Schonung des originalen Bestands durch kompensatorische Stategien. Bei der Aufrüstung des Kinosaals erwies sich die Saalakustik als Knackpunkt. Die Spezialisten rechneten kumulativ alle vertretbaren Massnahmen mit dem Ziel, die harte Deckenschale und die Säulen mit ihren Bemalungen sowie die Galerieuntersichten und das Fotofries materiell zu erhalten. Für die Surroundanlage wurden die Kabel auf der Aussenseite des Gebäudes geführt, die kleinstmöglichen Surroundautsprecher in die ansonst intakten Wände eingetönt. Im Foyer konnte der Marmorboden erhalten werden, weil die Bodenheizung nicht ersetzt, sondern später einmal über die Lüftungsanlage gelöst werden kann. Die Bar schliesslich wurde nicht ins Foyer, sondern in den obsoleten Garderoberaum eingefügt, die Lounge auf der andern Seite des Foyers in ein ehemaliges Ladenlokal. Beide Räume erhielten eine selbstbewusste, zum Bestand anthithetische Formulierung.


Jeder Neuanstrich ist ein Rekonstruktionsversuch

Villa Jeanneret-Perret, La Chaux-de-Fonds, Architekten Charles-Edouard Jeanneret-Le Corbusier, 1912/ Pierre Minder 2004-05

Nach Jahren des Leerstands kaufte eine eigens gegründete Vereinigung das Erstlingswerk des später weltberühmten Le Corbusier und setzte dann eine interdisziplinäre Kommission ein, die den Architekten auswählen und das Restaurierungsprojekt begleiten sollte. Bald wurde beschlossen, das Ideenlabor des jungen Architekten wieder sichtbar zu machen, indem das Haus von seinen Uberfassungen befreit und insbesondere der um 1950 entstellte und vollständig überwachsene Garten wieder in den Zustand von 1919 zurückgeführt werden sollte. Die Realisierbarkeit wurde mit einer Machbarkeitsstudie aufgrund von archivalischen und restauratorischen Befunden sowie einer Analyse des Baumarktes abgeklärt. Die Linolböden waren zum Teil erhalten, allerdings zum Teil übermalt oder in sehr schlechten Zustand, was einen differenzierten Restauriungsansatz erforderte. Dagegen waren alle originalen Leimfarben- und Kalkanstriche verloren, ebenso die Tapeten- und Jutebeläge, die Ölfarbe zum Teil mehrfach übermalt (z.B. rot statt dunkelblau). Während das Holzwerk und die unterschiedlichen Putze also grösstenteils materiell vorhanden waren, musste die Oberflächenfassung neu ausgeführt werden. Die Tapeten wurden rekonstrueirt. Bei den Farben wurde über die Bestimmung des Tonwertes hinaus auf die Verwendung der richtigen Pigmente und Bindemittel geachtet, im Bewusstsein, dass jede neue Farbfassung ebenfalls eine Rekonstruktion darstellt. Die neue Malschicht bedeckt ausserdem originale und rekonstuierte Bauteile gleichermassen; ein Grund mehr dafür, die Befundfenster des Restaurators für die Besucher des mit wenigen Originalstücken eingerichteten Museums- und Veranstaltungshauses sichtbar zu belassen.

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